Foto: Michael Fendler

Hinführung

Christi Himmelfahrt (Apg. 1,3) feiern wir 40 Tage nach Ostern. An Himmelfahrt ist die Spannung zwischen dem, was wir sehen können und dem, was wir glauben, besonders stark. Einerseits geht es um einen Schmerz: Jesus ist nicht mehr sichtbar und anfassbar. An Himmelfahrt geht es aber gleichzeitig um eine große Freude: Jesus hat unvergleichliche Macht erhalten. Mögen die irdischen Mächte auch noch so triumphal auftreten, Jesus hat die übergeordnete und unvergängliche Macht erhalten.

Was meint ”Himmelfahrt” genau? ”Himmelfahrt” meint nicht, dass Jesus in den sichtbaren Himmel aufgefahren ist (”sitzend auf einer Wolke”). In Joh 16,28 beschreibt es Jesus so: ”Ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater.” Es geht darum, dass Jesus in Gottes Welt hinübergetreten ist – ins Reich Gottes, in eine andere Dimension; dass er ”hinter den Vorhang gegangen ist”, dass er jetzt ”hinter dem Horizont unserer Wahrnehmung lebt” (”sitzend zur Rechten des Vaters”).

Welcher Zusammenhang besteht zwischen Himmelfahrt und unserem Predigttext? Im Buch Daniel geht es auch um Machtfragen. Da sind zu einen die großen Reiche und Mächte der Zeit: die Babylonier (Könige Nebukadnezar und Belsazar) und die Meder/Perser (Könige Kyrus und Darius). Ihnen gegenüber steht das Volk Israel (stellvertretend verkörpert durch den Höfling Daniel), eine kleine Minderheit, schwach und ausgeliefert, aber mit Gott an der Seite. Wer schreibt die Geschichte der Menschen: Sind es die Mächtigen der jeweiligen Zeit – oder ist es Gott, der die Fäden zieht? – Dan 7,13 ist der Schlüsseltext des Alten Testaments zum ”Menschensohn”, als der sich Jesus oft bezeichnet hat.

Zeit, wieder in die Gegenwart Gottes zu kommen

Im Alltag haben wir ununterbrochen unser normales Leben und unsere irdische Wirklichkeit vor Augen. Wir sehen dabei viel, was uns entmutigt, uns Angst und Sorgen macht. Viele Christen haben Sehnsucht, gleichzeitig auch einmal ”hinter den Vorhang” sehen zu dürfen, etwas aus Gottes Welt sehen zu dürfen – seine Macht und Herrlichkeit, seinen Sohn. Wir wollen uns danach ausstrecken und dafür öffnen, wie Daniel einen Blick in diese verborgene Welt zu tun. Achtmal heißt es ”ich sah” – auch wir wollen sehen, wie Gottes Welt ist. Wir wollen uns dadurch trösten, ermutigen und uns einen neuen Blick auf unseren Alltag schenken lassen.

Zeit des Schauens

Die Bilder im Danielbuch haben vielfach etwas Fantastisches, wie aus einem Fantasy-Buch (etwa Harry Potter oder Herr der Ringe). Wir lassen uns auf diese fremde Bilderwelt ein. Wir betrachten zwei gegensätzliche Bilder: das irdische Bild von den Mächten dieser Welt – und das himmlische Bild vom ”Uralten”, ”Hochbetagten” und vom ”Menschensohn”.

  • Die irdischen Mächte (V.3-8): der Löwe mit Adlerflügeln, der Bär, der Panther mit vier Flügeln und vier Köpfen, das Tier mit den eisernen Zähnen und den zehn Hörnern. Alles Bilder großer Gewalt, Tiere, vor denen man Angst hat und die gefährlich sind.
  • Die beiden himmlischen Mächte: der ”Uralte” (V.9-10) auf seinem Thron, umgeben von einem Hofstaat von Millionen Dienern. Er richtet hunderte von Millionen, und er zerstört die großen Reiche. Der ”Menschensohn” (V.13+14) kommt mit den Wolken; der ”Uralte” verleiht ihm seine Macht und Herrlichkeit. Im Vergleich zu den irdischen Mächten wirken sie wenig mächtig und beeindruckend, aber sie behalten am Ende die Oberhand.

Zeit des Verstehens

1. Die irdischen Mächte und die himmlische Macht

Unsere Nachrichten sind voll von den Taten der großen Mächte – der USA, China, Russland, der EU. Sie bewegen die politische Welt, auf ihr Tun kommt es an. Das Buch Daniel und auch die Offenbarung des Johannes betonen dagegen die Vorläufigkeit der irdischen Mächte (V.11-12) – sie alle haben nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung. Napoleons Kaiserreich dauerte 11 Jahre, das deutsche Kaiserreich 47 Jahre, das vermeintlich tausendjährige Reich in Deutschland nur 12 Jahre; die UdSSR überdauerte 69 Jahre; die DDR 40 Jahre.…

Das himmlische Reich ist zunächst wenig beeindruckend (ein ”Uralter” und ein ”Menschensohn”). Aber es legt die Spielregeln der Geschichte fest, überwindet die irdischen Mächte und bleibt ewig (V.14).

Was bedeutet mir dieses Gegenüber der zwei Mächte? Ist meine Alltags-Perspektive (in dem ich in aller Regel nur die ”irdischen Mächte” zu sehen bekomme) so stark, dass die himmlische Macht gar nicht in mein Sichtfeld kommt? Ist das himmlische Reich nur eine Illusion, eine falsche Hoffnung – oder die ”Realität hinter der Reali-tät”, eine zweite Ebene der Wirklichkeit, die man nicht leicht zu sehen bekommt?

2. Zukunftsbilder

Ungebrochen optimistische Zukunftsvisionen, dass in Zukunft alles besser wird, gibt es heute nur wenige. Wir sind umgeben von pessimistischen Bildern der Zukunft: die Sorge, dass die Erde von den Menschen verwüstet wird; dass ein Atomkrieg, eine Seuche oder Naturkatastrophen die Menschheit oder die ganze Welt zerstören. Die düsteren Zukunftsvisionen der Blockbuster von Hollywood verstärken das. Andere meinen, dass die Geschichte einfach immer so weiter geht wie bisher. Was ist meine persönliche Zukunftsvision für die Menschheit und die Welt? Ist das Zukunftsbild von Daniel, in dem am Ende Jesus Christus alles in Händen hat und bestimmt, nur ein Traum, nur eine Vision (Ende gut, alles gut)? Ist das lächerlich und absurd, oder kann das eine tragfähige Hoffnung werden?

3. Verborgene Realität

Jesus, der ”Menschensohn”. In der breiten Bevölkerung wird Jesus zunehmend zu einem Unbekannten. In der Bibel dagegen ist die Autorität von Jesus unangefochten: ihm gehört alle Macht im Himmel und auf Erden (Mt. 28,18). Er ist der ”Menschensohn”, der ewig ist und zuletzt alles in Händen hält. Diese biblische Perspektive kollidiert hart mit unserem alltäglichen Leben, in dem von Jesus und seiner Hoheit oft wenig zu sehen ist (Hebr. 2,8!). Es geht im Glauben nicht um das Für-Möglich-halten von Gottes Existenz; es geht um viel mehr: um das Festhalten an der Hoffnung, dass die Geschichte in der Hand von Jesus Christus liegt; der Mensch, Zufall, Schicksal und Chaos haben nicht das letzte Wort. Welche Realität ist wahr: die Augenscheinliche meines Alltags – oder die Realität des Glaubens, in der Jesus Christus die höchste Autorität hat?

Zeit des Herzens/Konkrete Schritte

Menschen der Hoffnung werden: Der derzeitige Pessimismus in Kirche und Gesellschaft zerrt an uns Christen. Corona hat den Gemeinden zugesetzt; interne Probleme (Missbrauchs-Skandale, Nachwuchsmangel, Kirchenaustritte, schrumpfende Gemeinden) und die immer stärkere Abwendung von christlichem Glauben und von der Kirche erzeugen einen starken Druck, gegen die die Hoffnungsbilder der Bibel oft gar nicht ankommen. Wie kann ich in der Gemeinschaft der Christen Hoffnung säen, wie kann ich der Niedergeschlagenheit in der Gemeinde Bilder der Hoffnung wie in Daniel 7 entgegen setzen, wo Jesus die Zukunft in Händen hält? Wo könnte ich in einer Zeit, in der viele das Handtuch werfen, zeichenhaft einen Neuanfang mitbegleiten oder initiieren?

Henning Behrends (*1960) ist verheiratet, Vater dreier Kinder und gehört seit 1998 zur Geschwisterschaft Koinonia. Er hat viele Jahre mit seiner Familie in Äthiopien gelebt und dort das Betrachtende Gebet mit äthiopischen Geschwistern zusammen für das geistliche Leben in einem ganz anderen Kontext fruchtbar gemacht.

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