Zeit, in die Gegenwart Gottes zu kommen

Ich setze mich zuhause oder in der Kirche vor die Weihnachtskrippe. Nach einem ersten Blick auf die Szene, lese ich mir ein oder zweimal laut und langsam und lauschend den vorgeschlagenen Abschnitt vor.

„Seht, welch eine Liebe…“ Zusammen mit den Hirten und Engeln, mit Maria und Josef, schaue ich, welche Liebe uns Gott geschenkt hat. Was haben sie auf dem Weg zum Kind und seiner Geburt wohl gesehen, gehört, erlebt? Und ich ­– auf meinem Weg durch die Adventszeit bis zum heutigen Festtag? Ich lasse meinen Blick auf dem Kind ruhen, suche seinen Blick auf mich.

Zeit des Schauens

Wem sieht dies Kind gleich? Ein Menschenkind, wie viele Kinder dieser Zeit und Region, in der es für diese Krippe geschaffen wurde. Es sieht uns allen gleich. Es ist mein Bruder, durch den mir Gott ein Vater wird. Er macht aus mir eine Schwester, die Tochter des Vaters im Himmel.

Der Briefschreiber nennt mich „Geliebte“ und „Kind Gottes“. Wie geht es mir mit dieser Verwandtschaft? – Wirklich, auch mich? Obwohl doch…? Ja, schon jetzt. Und jedes Mal ein wenig mehr, wenn ER sich offenbart und ich ihn ein Stückchen klarer erkenne. Dann aber, wenn alle ihn sehen und nichts mehr den Blick verstellt, dann wird sich Sein Gesicht in dem meinen widerspiegeln und ich werde ihm gleichsehen. Denn, ist es nicht so, dass man oft am Gesicht des Betrachters ablesen kann, was seine Augen sehen?

Diesem Geheimnis kann ich mich betend überlassen, vielleicht mit diesem Liedvers:

„Ich sehe dich mit Freuden an
und kann mich nicht sattsehen;
und weil ich nun nichts weiter kann,
bleib ich anbetend stehen.
O dass mein Sinn ein Abgrund wär
und meine Seel‘ ein weites Meer,
dass ich dich möchte fassen.“ (EG 37,4)

Zeit des Verstehens: Die Hoffnung reinigt

Das erste Kommen Jesu ist die Quelle, aus der die Hoffnung entspringt. In seiner leiblichen Geburt nahm der unsichtbare Gott menschliche Gestalt als seine eigene an, wurde mir ähnlich. Im Vertrauen auf diese neue Verwandtschaft geschieht es, dass sich im Blick auf ihn meine Lebensgestalt wandelt und der seinen angleichen kann. So finde ich glaubend zurück in den Ursprung, wo Gott mich und alle schuf nach seinem Bilde.

Wenn Jesus bei seinem zweiten Kommen in unaussprechlicher Klarheit vor aller Augen steht, wird er alle Hoffnung erfüllen. Da wird mit ihm auch mein Leben zur Vollendung geführt werden. Für die Zwischenzeit ist mir die Hoffnung aufgetragen. Das bedeutet, den Blick der Seele auszurichten.

Hoffend stellt sich mein Leben schon heute auf den Kommenden ein. Dabei erfahre ich manches, was meiner Hoffnung widerspricht, sie als unerfüllbar hinstellt. So steht dann noch etwas aus, und es bleibt etwas offen im Leben. Ich darf mich sehnen nach dem Ziel; denn sehnend und erwartend weitet sich das Herz. Vielleicht ist es wie eine Reinigungsprozess, in dem ich geduldiger werde, mutiger auch und mich nicht mehr mit dem Nächstbesten abspeisen lasse?

Das weit gewordene Herz wird erfüllt von der entgegenkommenden Liebe Gottes, und die bleibt nicht in mir verschlossen. „Denn fühlen wir sie, so kriegen wir ein Herz voll Süßigkeit füreinander, gleich einem überfließenden Bach, dass wir einander lieben müssen“.*

Zeit des Herzens

Wohin geht zur Zeit der Blick meines Inneren? Steht ein Blickwechsel an? Was hält mir die Sehnsucht im Herzen wach?

Traudl Priller (*1955), Communität Koinonia in Hermannsburg

* zitiert aus: Martin Luther, Vorlesung über den 1. Johannesbrief von 1527, München 1968

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