Hinführung

Erntedank wird im Allgemeinen am ersten Sonntag im Oktober gefeiert. Das ist für manche Gegenden recht spät (Getreideanbau), für andere eher zu früh (Maisanbau). Der Termin liegt nahe am jüdischen Laubhüttenfest und betont auf diese Weise die Verbundenheit mit Israel.

Im Kirchenjahr feiern wir einige Jesus-Feste (Weihnachten bis Himmelfahrt), ein Heilig-Geist- Fest (Pfingsten) und ein kleines Fest zur Trinität (Trinitatis). Erntedank ist das einzige Fest im Jahr, in dem Gott als Schöpfer geehrt wird. Bewusst sprechen wir an diesem Tag von ”Schöpfung”, nicht nur von ”Natur” und ”Umwelt”.

Die Schöpfung der Welt durch Gottes Wort ist heute hochumstritten: Die Naturwissenschaften leiten die Welt aus den Naturgesetzen her – in denen Gott entbehrlich ist. Wer vom Schöpfer redet, wird als ”Kreationist” und als Vertreter eines vorwissenschaftlichen Weltbildes verspottet. Können wir auf den Glauben an Gott als Schöpfer verzichten?

These 1: Wer Gott den Schöpfer aufgibt, gibt auch seinen Sohn auf.
These 2: Wer Gott als Schöpfer aufgibt, von dessen Glauben bleiben nur noch Scherben übrig.

5. Mose 8,7-18 ist ein Bibelabschnitt, der als Predigttext für Erntedank erst seit dem Kirchenjahr 2018/2019 vorgegeben wird. Die deutlichere Betonung des Alten Testaments und damit die stärkere Verbundenheit mit dem Volk Israel kommt auch mit diesem Text zum Zuge. Der Abschnitt passt gut zu Erntedank!

Der Kern des 5. Buches Mose bilden die Gebote (Kap. 12-26). Die Kapitel 1-11 sind eine Vorrede zu den Gesetzen: Mose redet zum Volk Israel und ermahnt es, die Gebote zu halten (1,1-5 / 4,44-46 / 5,1). Das Volk steht quasi am Ufer des Jordans, als ob es gleich nach der Rede des Mose ins Verheißene Land hinüberzieht (9,1).

Zwei Anmerkungen zur Auslegung: Das ”du” in V.2-20 meint nicht mich persönlich als Individuum, sondern kollektiv das ganze Volk Israel (so wie meist im Alten Testament). Und das ”gute Land”, von dem im Abschnitt die Rede ist, meint nicht den Himmel, das Jenseits, sondern – wie überall im Alten Testament – das Land Israel, ein Land im Hier und Jetzt.

Zeit, wieder in die Gegenwart Gottes zu kommen

Das Volk Israel musste 40 Jahre lang in der Wüste überleben. Jetzt sind sie der Wüste entronnen und zur Grenze des Verheißenen Landes gelangt. Sie stehen am Ufer des Jordans und halten inne. Sie erinnern sich an die schwere Zeit, die hinter ihnen liegt. Und sie bekommen von Mose einen Eindruck vom Land vor Augen gemalt, das vor ihnen liegt: ein schönes und wohlhabendes Land – aber auch ein Land, in dem man Gott vergessen kann.

Wir mischen uns unters Volk und nehmen teil an diesem ”Innehalten”, ”Pause machen” mit Rückschau in die Vergangenheit und Blick in die Zukunft. Wir lassen uns für diese kurze Zeit nicht von unseren Aufgaben oder unserem Terminplan hetzen, sondern nehmen uns Zeit für Rückschau auf unser Leben und auf das Leben unseres Volkes – und für einen Vorausblick in die Zukunft. Wir werden still und schauen, wo Gott alles gewirkt hat und noch wirken will.

Zeit des Schauens

Zwei Bilder werden uns vor Augen gemalt, die gegensätzlich sind:

  • Die Vergangenheit als ”Wüste Sinai” (V.15+16), ein lebensfeindlicher Raum, durch den Israel durch Gottes Freundlichkeit hindurchgeführt wurde. Heiß, wasserlos, ohne Nahrung, gefährlich. Gott hat sich etwas einfallen lassen, um das Volk am Leben zu erhalten (Wasser aus dem Felsen; das Manna).
  • Die Zukunft als Verheißenes Land, als Paradiesgarten (V.7-9): prächtig, wasserreich, voller Nahrung und Bodenschätzen, ein Land, in dem man satt wird und wo kein Mangel herrscht.

Wir nehmen uns Zeit und durchwandern mit unserem inneren Auge jedes dieser beiden Bilder. Wir dürfen Bilder aus unserer Zeit und unserem Land hinzufügen: Was wären heute Bilder für ein schlechtes und Bilder für ein gutes Leben? Waldbrände, Krieg und fehlender Regen versus üppige Supermärkte und den Wohlstand unseres Lebens?

Zeit des Verstehens

1. Der Segen

Gott, der Schöpfer, handelt auf verschiedene Weise. Er schenkt allem Lebendigen das Leben, er beschützt es und führt es (V.4+15+16). Und er erhält das Leben auch – durch seinen Segen. Die Bilder des Segens aus unserem Abschnitt sind uns vielleicht fremd (V.7-9 Feigenbäume und Granatäpfel). Welche Bilder würde ich stattdessen einsetzen? Wie bin ich selber gesegnet worden, ich und meine Familie? Welche kollektiven Erfahrungen von Segen hat mein Volk – und meine Kirche / Gemeinde gemacht? Welcher Segen ist mir in Deutschland am wichtigsten?

2. Gott erinnern, Gott vergessen

Mose ermahnt das Volk gleich zweimal, Gott nicht zu vergessen (V.11+14). Was führt dazu, dass wir Gott vergessen? Der Reichtum (wie in unserem Abschnitt)? Unsere Familien? Die Coronazeit? Schicksalsschläge? Gebete, die nicht erhört wurden? Das areligiöse Klima in Deutschland? Hier wollen wir aber auch bedenken, was uns alles hilft, Gott zu erinnern: Sein Segen (wie in unserem Abschnitt)? Die Gemeinschaft mit anderen Christen? Die Feiertage des Jahres? Mein persönliches Gebet und Bibellesen? Christliche Literatur? Erlebnisse in meinem Leben? Erntedank – ein Fest gegen die Gottesvergessenheit.

3. Mein Leben – Grund zum Klagen? Grund zum Loben?

Welchem der beiden Bilder ähnelt mein Leben mehr: der Wüste – oder dem fruchtbaren Land? Ich versuche, realistisch auf mein Leben zu schauen – ohne Schönfärberei (”mein Leben ist ein Paradies”), aber auch ohne Defizit-Orientierung (”mein Leben ist eine Wüste”). Hat es Zeiten in meinem Leben gegeben, die mehr einer Wüste ähnelten? Und andere, die mehr dem fruchtbaren Land glichen? Und wie denken wohl Menschen darüber, die arm sind und hungern? Was nimmt bei mir in Rede und Gebet einen größeren Raum ein: das Klagen – oder das Loben? So sehr wir vor Gott klagen dürfen (siehe die Psalmen), werden wir hier aufgefordert, Gott für seinen Segen zu loben (V.10).

4. Zukunftsbilder

Ungebrochen optimistische Zukunftsvisionen, dass in Zukunft alles besser wird, gibt es heute nur wenige. Wir sind umgeben von pessimistischen Bildern der Zukunft: die Sorge, dass die Erde von den Menschen verwüstet wird; dass ein Krieg, eine Seuche oder Naturkatastrophen die Menschheit oder die ganze Welt zerstören. Andere meinen, dass die Geschichte einfach immer so weiter geht wie bisher. Was ist meine persönliche Zukunftsvision für die Menschheit und die Welt? Ist das Zukunftsbild aus 5. Mose 8 mit dem paradiesischen Land falsch? Wenn Gott eine gute Zukunft für die Welt im Blick hat, was kann ich dafür tun, dass diese Vision wahr wird?

Konkrete Schritte in meinem Leben

1. Öffentlich an Gott erinnern

Wie und wo können wir öffentliche Erinnerungszeichen an Gott aufstellen? Wie kann ich in meiner Familie das Tischgebet wiederbeleben? Wie kann meine Gemeinde nicht nur intern im Gottesdienst, sondern auch in den sozialen Medien und in der Öffentlichkeit an Gott erinnern? Wenn ich als Wissenschaftler tätig bin, in einer Naturwissenschaft, die Gott konsequent ausklammert (und damit zurecht kommt!): Wie kann ich in meinem Umfeld wieder glaubhaft an Gott, den Schöpfer erinnern?

2. Bewahrung der Schöpfung

Das herrliche Bild von Israel, das uns in V.7-9 vor Augen gemalt wird, ist heute sehr gefährdet: Zum Beispiel droht die Wasserkrise, Israel in eine Wüste zu verwandeln (das Tote Meer verschwindet, der Jordan wird immer weniger, der Wasserspiegel im See von Genezareth sinkt immer mehr). Und auch in Deutschland, unserem ”guten Land”, haben wir mehr als genug Umwelt-Probleme. Was können wir dafür tun, damit Gottes Traum von seinem Land, seinem Paradiesgarten, wieder Realität wird? Wo können wir dafür mit anderen zusammenarbeiten?

3. Schöpfungs-Spiritualität entdecken

Vielleicht bin ich in einer Spiritualität aufgewachsen, die Jesus Christus betont, die also im Grunde nicht trinitarisch ist, sondern ”nur” von Jesus redet. Wie kann auch Gott als Schöpfer in meinem Glauben Raum gewinnen?

Henning Behrends (*1960) ist verheiratet, Vater dreier Kinder und gehört seit 1998 mit seiner Frau zusammen zur Geschwisterschaft Koinonia. Er hat viele Jahre mit seiner Familie in Äthiopien gelebt und dort das Betrachtende Gebet mit äthiopischen Geschwistern zusammen entdeckt. Derzeit ist er Pastor einer Landgemeinde in Norddeutschland.

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