Foto: Michael Fendler

Vorbemerkung

Eine scharfe Abweisung des „Sich-Rühmens“. Im Hebräischen heißt dies הלל – hll [hallal]. Also ein Halleluja auf sich selbst zu singen. Es ist gar nicht so leicht, eine solche prophetische Mahnung (salopp: „Eigenlob stinkt (zum Himmel)!“) zu meditieren. Sie verneint, macht schlecht, verbietet. In einer immer narzistischeren Gesellschaft haben wir die aufgeblähten „Donald Trumps“ ständig vor Augen. Meditieren jedoch wollen wir Positives, Ermutigendes, etwas, das uns Orientierung gibt. Deshalb beginne ich den Vorschlag zur Betrachtung mit einem positiven Bild.

Zeit des Staunens

Erinnert euch an eine Situation, in der ihr sehr stolz wart: auf eines eurer Kinder, oder auf eine*n Schüler*in, oder einen Bruder oder eine Schwester, oder eine*n gute*n Freund*in, oder auf euren Hund. Ich meine jetzt echte Gefühle wie: „Wow! Respekt!“ „Toll“, „ich bin wirklich beeindruckt, was du gemacht hast!“, „Ich bin sprachlos“, „Wie wunderschön!“ Was sind das für Gefühle? Neidloses Anerkennen und Loben – aber nicht von oben herab, sondern innerlich frei, voller Anteilnahme und Empathie für die Leistung des*r anderen. Oder schweigendes Staunen, ohne viele Worte, die im Aussprechen schon wieder auf einer Metaebene das Erleben verlassen hätten. Wertschätzen, ohne eine heimliche Erwartung einer Gegenleistung für das Lob. Sondern reine Freude, etwa über die Courage des anderen. Genießt diese Erinnerung und wie wohltuend dies ist: Ich bin stolz auf dich.

Überdenken

Bei genauer Betrachtung können wir den Gegensatz aufgeben: Weg von der Frage: „Sich-rühmen oder nicht?“ zu der Frage: „Wessen sollen wir uns rühmen?“ Dass dies der Nerv unseres Textes ist, zeigt sich schon daran, dass ganz auffallend je drei Werte einander gegenübergestellt werden: Weisheit, Stärke und Reichtum auf der einen Seite – jeweils versehen mit einem „nicht“, und Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit, d. h. Gemeinschaftstreue, auf der anderen Seite – verbunden mit dem Satz: „denn solches gefällt mir, spricht der Herr“. Und deshalb empfiehlt der Text, uns dessen zu rühmen, wenn wir uns denn rühmen wollen.

Die scharfe Abweisung des „Sich-selbst-rühmens“ beinhaltet somit die Einsicht, dass wir Menschen nicht ohne ein „Stolz-sein“ auskommen, es gehört zum Menschsein dazu, glücklich zu sein über lebensdienliche Dinge oder Leistungen. Sei es nun Weisheit, Stärke oder Reichtum, oder Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit (d. h. Gemeinschaftstreue).

Aber stecken wir nicht doch wieder fest in der Sackgasse, dass einiges von Gott abgelehnt wird anderes aber nicht? Es gibt einen Ausweg aus der Sackgasse. Er steckt in dem Hinweis: Wenn „Rühmen“ dann der „Barmherzigkeit“. Und da ist der Andere im Spiel, im Fokus. Wenn es also richtig ist, dass jeder Mensch etwas braucht, auf das er stolz sein kann, dann läge es auf der Linie, die der Begriff Barmherzigkeit weist, wenn wir diesen Hunger nach Anerkennung nicht bei uns selbst, sondern bei anderen stillen würden (s.o. „Zeit des Staunens“). Vielleicht gerade deshalb, weil wir in uns selbst genau diesen Hunger spüren.

Und so kann uns die Barmherzigkeit für andere öffnen, dass wir ihnen etwas von der Anerkennung, dem Lob und Ruhm geben können, die sie zum Leben brauchen. Und das Motiv dafür wäre vielleicht das Wissen darum, wie solcher Hunger sich in uns selbst anfühlt. Ein noch stärkeres Motiv könnte es sein, wenn wir uns dessen erinnern und dessen gedenken, was es für uns bedeutet hat, wenn uns solche Barmherzigkeit – vielleicht ganz unerwartet und unverdient – zuteil geworden ist. Wenn von diesem Impuls der Barmherzigkeit viele Menschen erfasst werden, dann besteht die Möglichkeit, dass alle reichlich satt werden können.

Hilfreicher Hintergrund

Vom Selbstlob, Eigenlob hält die Bibel bekanntlich nicht viel. Ebenso eindeutig fordert sie Menschen auf, Gott zu loben und zu rühmen. Manche biblischen Hymnen und Psalmen zeigen uns Menschen, die wie in einem Flow der Selbstvergessenheit sich ganz in Gottes Arme werfen und im Lobpreisen so die eigene Egozentrik überwinden. Wie heißt es so wunderbar bei Rilke: „Eine Weile hingerissen das Leben spielen nicht an Beifall denkend.“

Der Apostel Paulus – der sich selbst durchaus rühmen konnte (vgl. 2.Kor 11, 16-30) – ist es auch, der im 1. Korintherbrief die überzeugendste theologische Begründung für die Kritik am Sich-rühmen gibt: „Was hast du, das du nicht empfangen hast? Wenn du es aber empfangen hast, was rühmst du dich dann, als hättest du es nicht empfangen?“ (1. Kor 4,7). So kann ein geistliches Leben aus der Dankbarkeit heraus erwachsen, einer Dankbarkeit, die auch den Stolz über den Bruder und die Schwester u.a.m. einschließt.

Ausblick

Dereinst, wenn wir unser Leben gelebt haben, wird Gott uns loben. 1. Kor 4, 5 „Dann wird einem jeden von Gott sein Lob zuteil werden.“ Unser unendliches Bedürfnis nach Anerkennung, unstillbar, ewiges Trachten des Herzens – es wird wohl erst dann ein letztes Echo finden können.

Hartmut Friebolin (*1969) stammt aus der Evangelischen Jugendarbeit in Heidelberg. Nach dem Zivildienst studierte er mit viel Leidenschaft Theologie (Göttingen, Edinburgh und Heidelberg). Er gehört seit 1992 zur Geschwisterschaft Koinonia. Er ist verheiratet und hat zwei Söhne, war ca. 20 Jahre Gemeindepfarrer. Jetzt ist er Religionslehrer und Beauftragter der Badischen Landeskirche für Soziale Medien (@Reli2go).

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