Innerlich zur Ruhe kommen und offen werden für Gottes Wort

Welche Themen, Sorgen, Gedanken beschäftigen mich zurzeit besonders? Ich benenne sie oder schreibe sie auf und drehe dann das Blatt um, lege sie zur Seite. Ich bitte Gott um seinen Geist bei der Betrachtung.

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Ich lese Jeremia 23, 5-8.

Ich sehe Menschen vor mir, die aus ganz verschiedenen Ländern in ein Land kommen. Hinter ihnen liegen Jahre des Krieges, der Vertreibung oder der Verschleppung. Für die Älteren ist es eine Rückkehr, die Jüngeren ziehen mit in die „verlorene Heimat“ der Eltern und Großeltern. Alle bringen sie viele Erfahrungen mit. Schwere Erfahrungen: Immer waren sie Ausländer, hatten weniger Rechte, gehörten zur Minderheit, waren heimatlos und ohne Grundbesitz. Hilfreiche Erfahrungen: Sie haben gelernt, stark zu bleiben trotz allem, sie sprechen mehrere Sprachen, der Blick hat sich geweitet für die Vielfalt menschlicher Kulturen und die in anderen Ländern verwendeten Techniken und Materialien.

Die Menschen kommen mit der Hoffnung auf einen guten Neuanfang. Sie sehnen sich nach einer gerechten Gesellschaft, in der ein gutes Leben für alle möglich ist. Sie haben Ungerechtigkeit und Entbehrung am eigenen Leib erfahren und wissen, wieviel eine gerechte Regierung wert wäre, die das Wohl aller Menschen im Land zum Ziel hat. Sie sehnen sich nach einem König, der nicht auf den eigenen Vorteil bedacht ist, sondern verständig handelt und Recht und Gerechtigkeit übt. „Der HERR unsere Gerechtigkeit“ ist ein passender Name.

Den Text in seinem Kontext verstehen

Während sich die vorangegangenen Kapitel mit der Situation des Landes Juda und der Kritik an seinen Königen kurz vor der Zerstörung Jerusalems durch den Babylonier Nebukadnezar im Jahr 587 v. Chr. beschäftigen, wird in Jeremia 23 eine Zukunftsperspektive eingenommen. Die Zerstreuung der Menschen in viele Länder wird vorausgesetzt. Israel und Juda existieren nicht mehr als Staaten. Die Menschen leben im Exil in entfernten Gegenden des babylonischen Großreiches und in Ägypten. Eine Darstellung der Ereignisse, die dazu geführt haben, kann man in 2. Chronik 36 bzw. 2. Könige 24-25 nachlesen.

Aus historischer Sicht wurden das Nordreich Israel und das kleine Bergkönigreich Juda nach und nach zwischen den beiden Großmächten Ägypten und Babylon (davor Assur) aufgerieben. Das auf dem Gebirge liegende Jersualem war strategisch nicht so bedeutsam wie die westlich gelegene Via Maris, eine wichtige Handelsverbindung, die am Mittelmeer in Nordsüdrichtung verläuft. Diese Straße sowie die Hafenstädte in der fruchtbaren Ebene waren der eigentliche Grund, warum die starken Nachbarn im Süden und Norden Kontrolle über die Region haben wollten. Politische Alleingänge lokaler Fürsten störten und wurden unterdrückt.

Die innerbiblische theologische Interpretation sucht den Grund für die Zerstörung Jersualems und die Zerstreuung, die „Diaspora“ des Volkes im Fehlverhalten der judäischen Könige. Die Kritik bezieht sich sowohl auf außenpolitische Fehlentscheidungen als auch auf soziale Ungerechtigkeiten im innenpolitischen Bereich. Das theologische Urteil lautet über fast jeden König: „Und er tat, was böse war in den Augen des Herrn.“

Das Babylonische Exil ist ein tief einschneidendes Ereignis innerhalb der jüdischen Geschichte. Der Untergang Jerusalems, die Zerstörung des Tempels und die Deportation wichtiger Bevölkerungsschichten wird als katastrophal empfunden. Auf für mich wundersame Weise hat dieses Ereignis dann jedoch zu großer theologischer Innovation und Schreibtätigkeit geführt. Die jüdische Religion und in Folge die christliche Religion haben wider jede menschliche Vernunft und wider jede historische Erfahrung überlebt. Die starke Sehnsucht nach einer gerechten Gesellschaft lebt durch die Jahrhunderte fort.

Weiterführende Gedanken

Ich schreibe diese Betrachtungsanleitung, während in Glasgow der Klimagipfel 2021 stattfindet. Das Unheil, das uns durch die Klimakrise droht und bereits anbricht, ist nach vorherrschender wissenschaftlicher Meinung selbst verschuldet. Trotz dieses Wissens gehen wir den Weg weiter. Es gelingt uns bisher nicht, unsere Lebensweise umzustellen, unsere Bedürfnisse zu schrumpfen anstatt immer weiter zu wachsen. Ich sehne mich nach einer Regierung im eigenen Land, besser noch weltweit, die in Bezug auf Klimaschutz verständig regiert und kluge Entscheidungen trifft, damit wir in Solidarität mit allen Menschen und Lebewesen auf unserem Planeten leben können.

Ich leide an der menschlichen Unvernunft und Bequemlichkeit von mir selbst und der Weltgemeinschaft. Ich habe Angst, dass wir erst zur Vernunft kommen, wenn die Katastrophe schon da ist. Ich erkenne darin ein typisch menschliches Verhalten, wie es mir auch in der prophetischen Rede in Jer 22,21 begegnet: „Ich redete zu dir in den Tagen deines Wohlergehens. Du aber sagtest: Ich will nicht hören.“

Der Bibeltext endet in Vers 8 mit dem Ausdruck „al-admatam“ – „auf ihrem Land“. Hier ist nicht das Wort „arez“, für das Land als geographisches Gebiet gebraucht, sondern „adamah“ im Sinne von Erde/Mutterboden. Adam heißt der Mensch, denn „von Erde ist er genommen“. Ich lasse mich dadurch an den Schöpfungsbericht erinnern und daran, dass ich ohne Luft, Erde, Wasser, Pflanzen und Tiere in dieser Welt nicht überleben kann.

Ich richte meinen Blick nochmal auf den Namen „Der Herr unsere Gerechtigkeit“. Wenn ich Gott als König bzw. Herrscher anerkenne, muss ich mich auch nach seinen „Regierungs-Spielregeln“ richten. Ich denke an den Bund Gottes mit seinem Volk und an die zehn Gebote. Was fällt mir ein, wenn ich die zehn Gebote im Hinblick auf die Klimakrise und mein Verhalten im System Planet Erde und Weltgemeinschaft lese?

Am 1. Advent beginnt das neue Kirchenjahr, wir erwarten die Ankunft eines neuen Königs, des Gerechten, der von Gott kommt. Bin ich bereit für Neues? Wie kann ich mich bereit machen für eine neue und gerechte Gesellschaft? Ich bin neugierig auf die Menschen, die mit ihren Erfahrungen und ihrem Wunsch nach sicherem und gutem Leben in dieses Land einwandern. Wie baue ich mit an einer neuen und gerechten Gesellschaft? Und wie werde ich aufgeschlossen für neue Wirtschaftsformen und eine Lebensweise, die die natürlichen Ressoucen verständig nutzt? Ich nehme diese Fragen mit ins Gebet und bringe sie vor Gott.

Christine Heckmann

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