Ankommen

Epiphaniaszeit, Erscheinung Gottes, Menschwerdung Gottes in Jesus Christus – ich mache mich bereit zuzulassen, dass Gott mir nahe kommen will.

Bildlicher Zugang

In unserem Text wird die Erscheinung Gottes in Jesus Christus in zwei Ebenen beschrieben:

Auf der einen Ebene begegnet uns Christus als Gott, die völlige Vertrautheit zwischen Gott und Jesus, das Einssein in jeder Beziehung. Wir wenden uns heute beim Bild der anderen Ebene zu, in der es um die Erscheinung Gottes bei den Menschen geht. Unser Text beschreibt dies als überfließende Gnade und Wahrheit (V. 16), die uns erst durch Jesus Christus erreicht (V. 17). Und da ist die Rede von einem Gott, der mir nahe kommen will: Christus hat uns Gott verkündigt, den niemand je gesehen hat. (V. 18)

Dazu betrachten wir eine Skulptur von Ernst Barlach, „Das Wiedersehen“ (siehe Bild). Diese Skulptur greift eine Erzählung des Evangeliums aus den Tagen nach der Auferstehung Christi auf: Thomas kann den anderen Jüngern nicht glauben, dass sie den auferstandenen Christus tatsächlich gesehen haben. Christus begegnet daraufhin auch Thomas, der darüber verzweifelt ist, dass er nicht an die Auferstehung von Christus glauben kann. Er braucht den Beweis. Und Christus lässt Thomas dies erleben, so dass dieser Gewissheit bekommt. Gott lässt es sich nicht nehmen, Thomas die Wahrheit seiner Auferstehung und Liebe zu den Menschen selber erleben, fühlen zu lassen: Ja, dieser Jesus, mit dem ich so vertraut bin, ist tatsächlich Gottes Sohn (Joh. 20, 24-29).

Barlachs Figur stellt genau dieses Moment der Szene dar. Beim Anschauen der Figur kann ich das betrachten:

Wie geht es mir, was fühle ich, wenn ich in der Skulptur die Position von Jesus einnehme? Wenn ich mich hinstelle und wirklich versuche, diese Position einzunehmen, vielleicht mit einem Freund, einer Freundin? Wie erlebe ich dabei Thomas? Kostet die Haltung mich Kräfte?

Wie geht es mir, was fühle ich, wenn ich in der Skulptur die Position von Thomas einnehme? Wie erlebe ich dabei Jesus? Will ich mich zu ihm hinziehen lassen? Kostet mich die Haltung, das Mich- Ziehen-Lassen Kräfte?

Wenn ich die Position eines Beobachters einnehme: Wird hier für mich eine sehr große Nähe zwischen Jesus und Thomas sichtbar, spürbar? Sind die Falten auf der Stirn von Jesus und Thomas, sind ihre Gesichtszüge eigentlich einander ähnlich? Die Füße, die Hände, die Kleidung – was drückt dort etwas aus? Wo in Haltung und Bewegung spüre ich Spannung, Anspannung?

Im Evangelium sagt Thomas in diesem Moment „mein Herr und mein Gott“. Kann ich das in Barlachs Darstellung merken, wie Christus antwortet „mein Thomas“? Dass Christus eine Nähe zulässt, die Thomas wieder aufrichtet? Kann ich bei der Betrachtung das Aufrichten erleben und etwas von der „überströmenden Gnade“ ahnen? Kann Thomas in diesem Moment die Gnade überhaupt schon recht fassen?

Der Ort im Leben

Unser Alltagsleben ist oft geprägt durch einander wechselnde Beanspruchungen, Aktivitäten, gute Werke und unnötige Dinge, die von einer Sehnsucht nach Gottesbegegnung nichts spüren lassen. Und doch ist es eine der größten Sehnsüchte, diese Nähe Gottes zu erleben und zu spüren.

Das haben Sie vielleicht schon erlebt, dass Ihnen auf einmal eine Berührung durch Gottes Geist geschenkt wurde – in einer Stunde der Besinnung, an einem Wochenende oder in einer Exerzitienzeit, wenn Ruhe war, sich dem Evangelium auszusetzen. Vielleicht hatten Sie einen eigenen Text, in dem Sie diese Nähe einer Begegnung zwischen Christus und einem Menschen erlebt haben.

Die Epiphaniaszeit und unser Text wollen Mut machen, solche Erfahrungen in Erinnerung zu rufen. Die Begegnung zwischen Thomas und Jesus ist ein Beispiel für die vielen Begegnungen Jesu mit Menschen, in denen wir etwas von dieser überströmenden Gnade und Wahrheit Gottes erkennen können.

Ich darf in meinem eigenen Leben suchen: Entdecke ich eine solche Glaubenserfahrung in meinem Herzen, wo mir Christus nahe war?

Ausblick

Es ist schön, bewusst in die Epiphaniaszeit hineinzugehen: Erwarte ich Begegnungen mit der Gnade Gottes? Erwarte ich Begleitung durch Christus, vielleicht vermittelt durch Menschen, im innigen Gebet? Diese Erwartung zulassen – das ist ein schönes Ergebnis dieser Betrachtung.

Ich kann mir auch überlegen, welche Evangelientexte ich in der nächsten Zeit betrachten möchte, in denen Christus mir nahe kommt.

Thomas Schmidt (*1955) stammt aus Göttingen. Er gehört seit 1986 zur Communität Koinonia und lebt im Heidelberger Konvent. Er leitet seit 2001 den Gospelchor in seiner Kirchengemeinde.

Als PDF herunterladen

Anstehende Veranstaltungen