Foto: Dita Flake

Zeit, in die Gegenwart Gottes zu kommen

Es geht in diesem Text um das Innerste, um meine persönliche Beziehung zu Jesus Christus. Zu Beginn meiner Betrachtung versuche ich alles, was mich ablenken will, beiseite zu legen. Ich bitte Gott, mich wach und bereit zu machen für diese Begegnung mit Jesus.

Zeit des Schauens

Nach der Erzählung des Johannesevangeliums ist Jesus nach seiner Auferstehung seiner Jünger-Gemeinschaft dreimal begegnet. Beim dritten Mal lädt er die Jünger nach ihrem nächtlichen Fischfang am Ufer des Sees Tiberias zum Frühstück ein. Danach kommt es zu dem ersten Gespräch unter vier Augen zwischen Jesus und Petrus nach Jesu Kreuzigung.

Ich sehe, wie die beiden Maenner die anderen Jünger zurücklassen und einen Spaziergang am Ufer des Sees beginnen. Eine Weile gehen sie schweigend nebeneinander her. Der Kies knirscht unter ihren Schritten. Ich versuche, mich vor allem in Petrus hineinzuversetzen. Er spürt, wie sehr seine dreimalige Verleugnung seine Beziehung zu Jesus in Frage gestellt hat. Jesus redet ihn mit seinem Herkunftsnamen Simon an und nicht mit dem Zunamen Petrus, was ja „Fels“ bedeutet.

„Hast Du mich lieb?“ Diese Frage überrascht Simon Petrus. Er hat vielleicht mit Vorwürfen gerechnet oder mit bohrenden Fragen wie „Warum hast Du das getan?“. Aber nichts davon. Petrus merkt: Es geht Jesus nicht um Schuldzuweisung, sondern um eine Erneuerung ihrer Beziehung! Sein Ja kommt aus dem Herzen. Ja, er will unbedingt, dass ihre Beziehung weitergeht.

Noch überraschender ist für Simon, dass Jesus ihm dann sogleich einen Auftrag erteilt: „Weide meine Schafe!“. Damit übergibt Jesus ihm die Leitungsverantwortung für die Jünger- Gemeinschaft, wenn er weggehen wird. Jesus vertraut hier Petrus das Kostbarste an, was er hat, nämlich die Menschen, für die er sein Leben gelassen hat. Jesus traut Simon Petrus zu, dieser Verantwortung gerecht zu werden, obwohl er in einer entscheidenden Situation so gründlich versagt hat.

Dreimal wiederholt Jesus seine Frage. Petrus wird traurig, dass er dreimal gefragt werden muss. Die dreimalige Frage ist eine schmerzliche Erinnerung an seine dreimalige Verleugnung. Petrus spürt, wie sehr er Jesus damit verletzt hat. Aber dreimal wiederholt Jesus auch seinen großen Auftrag! Er will, dass ihre Beziehung wächst und tiefer wird.

Darum eröffnet er Petrus eine Perspektive, wie es mit seinem Leben weitergehen kann. Er malt ihm dazu zwei kontrastierende Bilder vor Augen:

Ich sehe einen jungen Mann, der sich selbstsicher seinen Gürtel umlegt und sich dann entschlossen auf den Weg macht, um sein Ziel zu erreichen.

Dann sehe ich einen alten erblindeten Mann, dem jemand hilft, sich anzuziehen, und der dann tastend seine Hände ausstreckt, um sich führen zu lassen.

Durch den Hinweis auf den Tod des Petrus wandelt der Evangelist das zweite Bild nochmal: Ich sehe, wie die ausgestreckten Arme des Petrus an einen Kreuzbalken gebunden werden.

Ich spüre dem nach, was diese Bilder in mir auslösen.

Zeit des Verstehens

Es ist ein Wunder, dass es Gott letztlich nie um Verurteilung und Bestrafung geht. Es geht Ihm vor allem um eine stete Erneuerung und Vertiefung Seiner Liebesbeziehung zu uns! Durch das, was wir getan oder unterlassen haben, durch das, was wir gesagt oder was wir verschwiegen haben, wird diese Beziehung immer wieder in Frage gestellt. Es ist wichtig, dass wir den Schmerz über unser Versagen zulassen und ihn vor Gott angemessen zur Sprache bringen. Nur so kann Heilung geschehen. Nur so kann unsere Beziehung durch Gottes vergebende Barmherzigkeit erneuert werden.

Die Liebesbeziehung zu Gott ist keine exklusive Zweierbeziehung. Liebe zu Gott will durch unsere Fürsorge für andere Menschen zum Ausdruck kommen. Es ist ein Wunder, dass Gott uns immer wieder das anvertraut, was für Ihn das Kostbarste ist: Menschen, die nach Seinem Ebenbild geschaffen sind. Das muss nicht wie bei Petrus eine Leitungsaufgabe sein. Aber jeder und jedem von uns will Gott eine bestimmte Verantwortung für andere Menschen übergeben.

Gott traut uns diese Aufgabe zu, obwohl er unsere Schwächen und Grenzen kennt und obwohl wir Ihn bei der Ausführung dieser Aufgabe so oft enttäuscht und verletzt haben. Wenn Gott uns immer wieder neu Vertrauen schenken will, brauchen auch wir nicht in der Enttäuschung über uns selbst verhaftet bleiben.

Den Dienst an anderen Menschen erleben wir oft als anstrengend, zermürbend und enttäuschend. Es ist gut, sich dann in Erinnerung ist zu rufen, dass es zuallererst ein Privileg und eine Ehre ist, diesen Dienst tun zu dürfen und dass Gott uns diesen Dienst trotz all unseres Versagens immer noch zutraut.

Gott will, dass im Laufe unseres Lebens unsere Beziehung zu Ihm wächst. Die zwei Bilder, die Jesus dem Petrus vor Augen malt, beziehen viele geistliche Begleiter auf die zwei Lebenshälften. In der ersten Lebenshälfte versuchen wir, unseren Lebensentwurf zu verwirklichen. Wir treffen verantwortliche Entscheidungen, mit wem und wie wir leben wollen. Auch wenn wir als Christen versuchen, diese Entscheidungen im Sinne Jesu zu treffen, behalten doch oft wir selbst letztlich die Kontrolle über unser Leben. Es bleiben unsere Pläne und unsere Vorstellungen, was Nachfolge Jesu bedeutet, die wir zu verwirklichen trachten.

In der zweiten Lebenshälfte geht es darum, die eigenen Pläne und Vorstellungen immer mehr loszulassen, um immer offener zu werden für den Weg, den Gott selbst uns führen will. Es geht darum, Gottes großes Wirken auch gerade da wahrzunehmen, wo unsere eigenen Vorhaben nicht gelingen.

Geführt werden, wohin Du nicht willst. Das klingt bedrohlich, und es schließt sicherlich auch schwere Erfahrungen mit ein. Aber wenn wir uns daran erinnern, dass der, der uns führt, uns und die Menschen, die uns am Herzen liegen, besser kennt und mehr liebt als wir selbst, dann ist es leichter, dem zuzustimmen.

Zeit des Herzens

Gott will vor allem, dass meine Liebesbeziehung zu Ihm stets erneuert und vertieft wird. Die Frage ist, was mir das Wichtigste im Leben ist. Ist es wirklich diese Beziehung?

Wo bedarf sie der Erneuerung? Wie kann ich die Liebe zu Gott mit meinem Einsatz für Menschen auf kreative Weise wieder neu zum Ausdruck bringen? Wo geht es für mich darum, eigene Pläne und Vorstellungen loszulassen, um dadurch empfänglicher für Gottes großes Wirken zu werden?

Wolfgang Hermann

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