Hinführung

Die Lesungen dieses Sonntags reden vom Leben und Sterben des Menschen. Das alte Testament sagt: „Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit.“ (Hiob 14,1–6), die Epistel sagt: „Unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wie dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn“ (Röm 14,7–-9). Das Evangelium ist Matthäus 25 und zeigt, was Menschen gegeben oder vorenthalten wird, betrachtet Jesus am Ende der Zeit auf seine Person bezogen. Die Texte dieses Sonntags versuchen gegenwärtige Erfahrung im Licht des Kommenden zu betrachten und zu deuten. Wie wird das gegenwärtige Leben von dem zukünftigen Kommen des Gottessohnes bestimmt? Dabei ist nicht die Frage nach dem Wann wichtig, denn das ist unbestimmbar. Sondern die Christen sollen in der Gegenwart so leben, dass sie die Wiederkunft Jesu jederzeit erwarten und erhoffen. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch unser Text von der bittenden Witwe zu verstehen.

Loslassen

Diesmal geht es um ein aktives Loslassen. Um ein Loslassen der Resignation und Erwartungslosigkeit. Dabei scheint es so, als seien Resignation und Erwartungslosigkeit ja selbst schon eine Form von Loslassen. Also geht es um ein Loslassen vom Loslassen. Wir wollen uns auf die spannungsvolle Gegenwart Gottes konzentrieren. Gott ist gegenwärtig und Gott wird gegenwärtig.

Bild

Wir stellen uns eine Witwe vor. Sie ist schwarz gekleidet und nicht unbedingt alt. Es gab in der Zeit Jesu durchaus auch junge Witwen. Unsere Witwe hat einen eisernen Willen und eine starke Ausdauer. Sie geht täglich zu einem Richter und fordert: „Schaffe mir Recht!“ Dass sie zu ihm ins oder vor sein Haus geht, bedeutet, dass es sich bei ihrem Anliegen um Finanzangelegenheiten handelt, die im Haus eines Richters abgewickelt werden können. Verwandte wollen die Schwäche der Witwe ausnutzen und verweigern ihr Geld, auf dass sie einen rechtmäßigen Anspruch hat. Sie ist so resolut, dass sie den Richter zermürbt, der doch weder Gott noch Menschen fürchtet (denn das eine muss das andere ja nicht ausschließen). Wir stellen uns vor, wie die Witwe vor seinem Tisch sitzt und der Richter mürrisch und resigniert eine Verfügung verfasst, dieser Witwe ihr Geld zukommen zu lassen. Sie sitzt kerzengerade und siegessicher auf ihrem Stuhl, der Richter hängt erschöpft in den Seilen auf seinem Chefsessel. Das Ziel der Witwe ist erreicht.

Erwägungen

Dieses Gleichnis ist nicht ganz leicht zu entschlüsseln. Der Richter ist nicht mit Gott gleichzusetzen, denn dieser Richter ist gottlos, und Gott ist nicht gottlos. Der entscheidende Vergleichspunkt ist die Ausdauer der Witwe und ihre Forderung: „Schaffe mir Recht!“ Wir müssen vom Charakter dieses Sonntags her dieses Gleichnis endzeitlich verstehen. Dabei sehen wir, dass das Endgericht für die Christen nicht schrecklich und zu fürchten ist, sondern, dass wir unser Recht bekommen, das Christus für uns erwirkt hat. Wenn unsere gegenwärtigen Erfahrungen auch so sind, dass wir jetzt immer wieder enttäuscht, verkannt oder ignoriert werden, so geben wir doch nicht auf, zu Gott zu beten, dass er uns Recht verschafft. Jesus fordert uns auf, in dem Gebet um Recht nicht nachzulassen. „Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er’s bei ihnen lange hinziehen?“ (V. 7) Die Phänomene der Überbevölkerung, der Umkehrung der Alterspyramide, der Zerstörung der Umwelt, der Verschwendung der Ressourcen und der Friedlosigkeit der Völker führen uns zur Einsicht des baldigen Endes der Welt. Das ist sozusagen eine vernünftige Sichtweise, denn prognostisch gesehen spricht alles gegen eine positive Zukunftserwartung. Prophetisch gesehen haben wir aber eine Zukunft, die uns von Gott her entgegenkommt und seinen Auserwählten Recht schafft. Wir beten für eine Erhaltung der Schöpfung und für ein baldiges Kommen des Gottessohnes. Die letzten Worte der Bibel heißen: „Amen. Komm, Herr Jesus! Die Gnade des Herrn Jesus sei mit euch allen!“ (Off 22,20+21)

Konkretion

Wir wollen uns geistig und seelisch vergewissern : Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir leben oder sterben, wir sind des Herrn.
Wir wollen die Schöpfung bewahren und verantwortlich mit ihr umgehen, und gleichzeitig wollen wir auf die neue Schöpfung hoffen und anhaltend dafür beten, dass der Herr bald kommt. Wir wollen dem mit der Gewissheit entgegengehen, dass die Leiden dieser Zeit nichts sind im Vergleich zu der kommenden Herrlichkeit Gottes.

Ekkehard Dürr (*1945) stammt aus der evangelischen Jugendarbeit in Göttingen. Er absolvierte ein Lehrerstudium und gehört mit seiner Frau seit 1978 zur Communität Koinonia in Hermannsburg.

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