Foto: Dita Flake

Aufbruch

Es klingelt. Freunde fragen mich, ob ich nicht spontan mitkommen möchte, sie seien mit Jesus auf dem Weg nach Jerusalem. Ich überlege: Die Wäsche? Der Einkauf? Gassi gehen? Ich ziehe die Schuhe an und nehme kurzerhand den Hund mit.

Ich geselle mich zu Johannes und Jakobus, sie kommen mir vertraut vor. Wir verlassen als kleine Schar den Ort, die Stadt, lassen die Geräusche des Alltags hinter uns. Jesus läuft vorn und scheint genau zu wissen, wohin es gehen soll.

Während Johannes und Jakobus noch über die letzten Tage plaudern, erinnere ich mich, woher ich sie kenne: Jesus rief sie, während sie die Netze flickten, und die beiden und Petrus erlebten eine besondere Zeit mit einem hellstrahlenden Jesus auf dem Berg. Wo ist Petrus? Er spricht gerade mit Jesus.

Gehen und reden

Wir erreichen ein ruhiges, windgeschütztes Plätzchen. Jesus möchte zu allen etwas sagen. Wir warten noch auf die Letzten. Während Jesus darüber spricht, was ihm bevorsteht (V. 33f), verändert sich bei Vielen der Gesichtsausdruck. Wonach ist ihnen nun zumute? Was liegt in der Luft?

Ich bleibe bei Johannes und Jakobus, den Brüdern. Wir laufen weiter, aber zunächst schweigend. Jeder scheint seinen Gedanken nachzuhängen. Dann sagt einer auf einmal: „Kopf hoch!“ Langsam entwickelt sich wieder ein Gespräch zwischen den Brüdern, erst noch verhalten, dann immer selbstbewusster, lauter. Es scheint eine Perspektive für sie zu geben, ein mögliches Entrinnen aus dem Entsetzlichen, Grausamen, etwas Leuchtendes, das größer ist als der Tod und die Auferstehung Jesu. Die Brüder machen sich an Jesus ran, ich hinterher, und stellen ihm eine Frage (V. 35b). Ich beobachte das Gespräch, was es auslöst (Verse 36-40), sehe Jesus aus der Nähe, seine Augen, seine Hände, höre seine Worte. Ich schaue auf Johannes und Jakobus. Da ist etwas, das mich fasziniert. Sind es die Worte, die erwartungsvollen Augen oder sind es die Gesten? Soll ich mich ins Gespräch einmischen? Was würde ich gerne sagen, fragen? Wieder bleibt Jesus stehen, alle sollen es hören; gerade jetzt, wo es allen an den Kragen gehen könnte und genau dies jeder für sich spürt:

„Ich kenne die weltlichen Machtverhältnisse. Ich werde ihnen ausgeliefert sein, so wie ihr ihnen ausgeliefert seid, ein Leben lang! Doch durch mich, durch mein Leben und durch mein Sterben eröffnet sich eine Chance ganz neuer Art. Mein Leben und mein Leiden sind ein Dienst an euch Menschen. Lasst ihn geschehen, dann werdet ihr erkennen: Das Geheimnis liegt in der Umkehrung. Wer unter euch Ansehen und Aufstieg sucht, wird sein Leben in den Dienst an den Menschen stellen. Habt Mut zu einem anderen Weg, zu einem neuen Miteinander, zur Umkehrung bestehender Machtverhältnisse, dann wird Erlösung möglich!“

Ich spüre der Wirkung dieser Worte auf mich nach; auch die anderen schweigen. Ein Stück gehe ich noch mit. Ich möchte spüren, was mich betrübt und was mich froh gemacht hat. Dann verabschiede ich mich von der wandernden Gemeinschaft, auf ein Wiedersehen.

Nachdenken

Jesus spricht zum wiederholten Male von den bevorstehenden Ereignissen, von seiner Gefangennahme, von Folter, von seiner Hinrichtung und von seiner Auferstehung nach drei Tagen. Die angstvollen Gedanken der Jünger kreisen um die Frage: Und was wird aus mir (Verse 28 und 37)? Diese Sorge kenne ich: Komme ich genügend vor? Wirke ich so, dass gut über mich gedacht und geredet wird? Bin ich erfolgreich? Lebe ich (abge)sicher(t) genug? Auf welche Art und Weise suche ich nach Antworten?

Erlebe ich den Glauben an Christus als etwas Befreiendes oder als etwas Forderndes?

Die Umkehrung von Machtverhältnissen. Ein Miteinander auf Augenhöhe. In der Familie, im Beruf, in der Gemeinde, in der Gesellschaft, auf der ganzen Welt. Sehne ich mich danach? Gibt es so etwas wirklich? Wo profitiere ich von bestehenden Machtverhältnissen? Wo leide ich darunter? Stiftet das Evangelium zur Revolution an?

Tun

Habe ich Lust, Räume mitzugestalten, in denen nicht Angst und Macht die Atmosphäre bestimmen, sondern ein offener Blick, ein offenes Ohr füreinander und die Sorge um den anderen Menschen das Miteinander bestimmen? Welche Ideen hätte ich dafür? Welchen Dienst erweise ich meinen Freunden und Mitmenschen? An welcher Stelle bin ich dankbar für Hilfe und Unterstützung?

Michaela Herrmann wohnt mit ihrer Familie in Halle (Saale) in der Hausgemeinschaft der Geschwisterschaft Koinonia. Als Diakonin verbindet sie soziale Arbeit und Theologie, u.a. in einem Bauwagen-Projekt in einem Plattenbaugebiet.

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