Loslassen

Ich lese den Text. Dann schließe ich meine Augen und „erinnere“ mich, was vorher geschah… Tempelberg Jerusalem. Jesus hat gerade im Tempel mit Pharisäern, Hohenpriestern, Schriftgelehrten, Sadduzäern und Ältesten gestritten, diskutiert, Antworten gegeben, Fragen gestellt. Es ging um eine Fülle an Themen, große und kleine, die Atmosphäre angespannt, die Diskussionen konzentriert, emotional, die ständige Unterscheidung zwischen Wichtigem und Falschem anstrengend. Nun zieht sich Jesus zurück, setzt sich an den Rand, ruht sich aus und sieht zu.

Genau das mache ich jetzt auch. Ich trete (gedanklich, oder auch körperlich) heraus aus der Situation, aus der ich komme und die mich gebunden hat, gehe ein kleines Stück weg davon, an den Rand und setze mich hin. Still beobachte ich das Geschehen.

Bild

Still beobachtet Jesus das Geschehen. Er sitzt an einer geöffneten Tür: die Tür zur Schatzkammer, wo die Opferstöcke für verschiedene Opferzwecke stehen. Die Opferstöcke sehen aus wie Posaunen. Die Gaben werden nicht direkt eingelegt, sondern den Priestern übergeben, die dort stehen und den Zweck und Höhe der Summe nennen, öffentlich machen.
Es ist ein Kommen und Gehen. Viele gut gekleidete, wohlgenährte Männer erscheinen, die aufgerichtet und stolz großzügige Spenden übergeben. Die Priester nehmen sie anerkennend entgegen und rufen den Wert aus.

Da kommt eine alte gebeugte Frau, die verschämt zwei Scherflein gibt, die kleinsten Münzen überhaupt. Die schlechte Kleidung und ihre ärmliche Gestalt lassen die Witwe erkennen. Es ist ein Bruchteil dessen, was die Reichen geben, nicht der Rede wert. Doch Jesus steht plötzlich auf und ruft seine Jünger zu sich, die mit anderen Dingen beschäftigt sind. Er ist so berührt von dem, was die Witwe tut, dass er das unbedingt an seine Schüler weitergeben, sofort mit ihnen teilen muss.

Ich lasse das quirlige Geschehen auf dem Tempelberg auf mich wirken: die vielen Menschen, die kommen und gehen; die Priester, die ihre Arbeit tun; Jesus, der sich ausruht; ganz unscheinbar die alte Frau; die Jünger, die gerufen werden. Was sehe ich? Wo bleibt mein Blick haften? Was rührt mich an?

Erwägung

Die zwei Scherflein der Witwe zeigten sicher keine große Wirkung bei ihrer Verwendung. Die Gabe selbst war, in absoluten Zahlen ausgedrückt, nicht „der Rede wert“.

1. Sicherheit

Für die Witwe dagegen war es alles, was sie in dem Moment besaß. In unseren Augen verantwortungslos und unvernünftig gibt sie das Letzte, was sie hat, von sich weg. Sie hätte es nicht geben müssen. Ein Scherflein hätte auch gereicht, quasi symbolisch. Aber sie hatte wohl Grund, großzügig zu sein und verzichtete auf eine (kleine) Sicherheit für sich selbst, um anderen etwas zu geben.

Wie gehe ich mit materiellen Dingen oder Zeit oder meinen Kräften im Hinblick auf Absicherung um? Versuche ich immer nur so viel zu geben, dass der Rest gut für mich reicht? (Das ist durchaus vernünftig…)

Wo gebe ich „alles“? Was ist meine Motivation?

Habe ich Gutes erlebt, wo ich „unvernünftig“ war und nichts zur Sicherheit zurückbehalten habe? Welche Beispiele fallen mir da ein?

2. Anerkennung und Wert

Jesus ist angetan von dem, was die Witwe tut. Er lässt sich von ihrer Haltung bewegen ruft seine Jünger zusammen und lehrt weiter. Nun ist er der Priester am Opferstock, der laut die Witwengabe verkündet. Nicht die absolute Zahl, sondern den Wert: „Mehr als alle“. Er lässt sich von ihr anrühren, schenkt ihr damit Anerkennung und fordert auch seine Jünger dazu auf.

Konkretion

1. Will ich mir (wieder) vornehmen, mutiger zu wagen, was scheinbar nicht lohnt und mich Sicherheit kostet? Will ich Gott die Zumessung des Wertes überlassen? Welche Arbeiten und Vorhaben fallen mir dabei ein?

2. (An-) Erkenne ich in meinem Umfeld, wo Menschen ihre „letzten Scherflein“ geben?
Wer steht mir da vor Augen? Ich lasse mich von ihnen und ihren unscheinbaren Mühen berühren. Meine Anerkennung im Herzen mache ich öffentlich und vervielfältige ich, indem ich anderen Menschen davon erzähle.

Ann Eckert, ursprünglich aus Sangerhausen kommend, wohnt und arbeitet in Halle an der Saale.

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