Foto: Traudl Priller

Ich rate die Betrachtung anhand der Überschriften entsetzt, wartend, auf dem Hinweg, schauend und in erneutem Entsetzen zu nutzen. Dabei werden die Details weniger eine Rolle spielen. Es ist beabsichtigt, die eigenen Enttäuschungen und die unerfüllte Hoffnung, die sich im Entsetzen ausdrücken, in den Text einzutragen.

Zeit des Entsetzens

Die drei Marien – namentlich Maria Magdalena, Maria, die Mutter des Jakobus, und Maria Salome –, die Jesus schon von Galiläa nachgefolgt waren und bei der Kreuzigung von Weitem zusahen, sind die ersten, die am Sonntagmorgen für den toten Jesus aktiv werden. Sie wollen dem großen Toten zumindest die Barmherzigkeit erweisen, ihn ordentlich zu versorgen. Bei der Grablegung am späten Freitagnachmittag sind sie nicht mehr dazu gekommen, weil der Beginn des Sabbats um 18 Uhr kurz bevor stand. So vollzieht sich die Bestattung in Etappen. Die Frauen machen sich am ersten Werktag der neuen Woche früh auf, um den toten Jesus mit wohlriechenden Ölen zu salben.

Zeit des Wartens

Der vergangene Sabbat ist ein trauriger Tag gewesen. Ihre Hoffnung auf einen neuen Weg ist gewaltsam beendet worden. Jesus war ein Mann, der unter anderem ihnen als Frauen eine ganz neue religiöse Stellung gegeben hatte. Sie sollten nicht mehr im Vorhof des eigentlichen Geschehens warten müssen und gewissermaßen im Hörensagen Gott begegnen, sondern er hat sich von ihnen berühren lassen, hat ihnen zuhört, sie gesehen, gelobt, erhoben und geheilt. Was würde es für ihre weibliche Gotteserfahrung bedeuten, wenn Jesus einen neuen Tempel bauen würde? Wo wäre ihr Platz in seinem inklusiven Reich? Stattdessen versteckten sie sich am Sabbat nach der Kreuzigung und suchten wie die Jünger vergeblich nach einem Ort für ihre Trauer und ihre Angst.

Zeit, um zum Grab zu gehen

Immerhin können sie am nächsten Morgen etwas tun. Sie gehen in aller Frühe zum Grab, um den toten Jesus mit wohlriechenden Ölen zu salben. Und sie werden tatsächlich die ersten sein, die Neues zu berichten hätten.

Zeit des Schauens

Die Frauen muten sich die ganze Leidensgeschichte zu. Sie treten in die Grabhöhle ein: „Ihr, die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren“. So steht es nach Dante in der göttlichen Komödie über dem Höllentor. Am Freitag haben sie zumindest von Ferne mitverfolgt, wie Jesus gekreuzigt wurde, nun wollen sie seinen Leichnam waschen und salben. Dabei berichtet Markus schon zwei Kapitel zuvor davon, dass Jesus von einer unbekannten Frau im voraus für sein Begräbnis mit Nardenöl im Wert eines Vermögens gesalbt worden. Die Frau hatte mehr als alles gegeben, weil sie mehr als einen Menschen in ihm gesehen hatte. Er deutet prophetisch an, was sich nun erfüllt. Da Jesus also bereits der auferstandene Gesalbte, der Christus ist, verkaufen die drei Marien ihre aromatischen Öle vielleicht statt ihrer, um die Armen zu unterstützen. Christus als Gemeinde in der Welt existierend.

In dem Bericht über den Gang zum leeren Grab und der Begegnung mit dem weiß gewandeten Jüngling lesen wir in differenzierten Verben vom Schauen. Die Frauen blicken auf, sie sehen und betrachten. Der barocke Maler Adam Elsheimer hat in „Die drei Marien am Grabe Christi“ diese je unterschiedlichen Blicke auch gestisch dargestellt. Während die Frauen angesichts des Grabsteines zum Himmel aufblicken (und beten: wer hilft uns, dass uns ein Stein vom Herzen fällt?), werden auch wir erst wahrnehmen, was Auferstehung für uns bedeutet, wenn wir die schweren Steine wahrnehmen, die bewegt werden müssen, damit das neue Leben in die Vorstellung eintritt.

Zeit des Entsetzens

Erstaunlicherweise ist es mit dem weggerollten Stein und dem leeren Grab noch nicht getan. Das Gebet der Frauen wäre damit nur vorläufig erhört worden. Die Frauen sehen wie zwei Tage vorher die äußerlichen Fakten und sind wiederholt entsetzt. Jesus ist gestorben und sein Leichnam verschwunden. Das ist keine wirkliche Überwindung des Wartens und der Vergeblichkeit. Die drei Marien finden keine Worte für das Geschaute, solange sie das Geheimnis noch nicht im Herzen betrachtet und begriffen haben. So kann es uns auch gehen, dass wir für die neuen Wunder Gottes weder Augen haben noch Sprache finden. Ich hoffe aber, dass sich an den Orten, an die wir kommen und die der Gekreuzigte und Auferstandene eben erst verlassen hat, geöffnete Türen finden. Schon in unseren leeren Gräbern ist Gott spurlos anwesend (nach Albert Knapp „göttliche Diskretion“).

Ralf Döbbeling ist Pfarrer der Bartholomäusgemeinde, zu der die Geschwister aus der Koinonia-Hausgemeinschaft in Halle (Saale) gehören.

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