Vorbemerkung

Johannes wird vom Geist ergriffen (Off 1,10) und schreibt das, was Jesus Christus ihm offenbart, an eine Reihe von Gemeinden in Kleinasien.

Christus selbst, der die Fülle des Heiligen Geistes hat (= die sieben Geister Gottes), trägt die Engel der Gemeinden in seiner Hand (= die sieben Sterne, Off 1,20). Der „Engel der Gemeinde“ steht vermutlich als Symbolfigur für die Gemeinde selbst, die als ganze angesprochen ist (Off 3,6).

Ankommen in Gottes Gegenwart

Beim Lesen des Bibeltextes denkt wohl jeder unwillkürlich an die eigene Gemeinde und könnte sich angesichts des Buß- und Bettages die Frage stellen: Wie lebendig ist meine Gemeinde? Braucht sie Umkehr? Mehr Gebet, mehr Fürbitte?

Ich will auf Antwort warten. Dazu schaue ich jetzt auf den, der da kommt, zu richten und zu retten: Ich stelle mich in seine liebende und tröstende Gegenwart, will hören und betrachten, was ihm wichtig ist.

Zeit des Schauens

Die Gemeinde in Sardes bekommt Besuch: Ein Bote aus einer entfernt gelegenen Gemeinde bringt einen Brief mit und erklärt, wie er zu diesem Brief gekommen ist. Der Bote wird gastlich aufgenommen und bittet den Leiter der Gemeinde darum, das Schreiben auf der nächsten Gemeindeversammlung vorlesen zu dürfen, denn es betrifft alle.

Am folgenden Tag ist die Gemeinde vollständig versammelt. Alle sind neugierig auf den Besucher und das Sendschreiben, das er mitgebracht hat. Von Johannes auf der Insel Patmos haben sie schon viel gehört. Nun aber fallen Worte, die sie nicht erwartet haben. Gemeinsam mit den Zuhörenden lasse ich diese Worte auf mich wirken.

Ein Gemurmel entsteht in der Gemeinde, das immer lauter wird. Es kommt zu einer lebhaften Diskussion; einige verlassen verärgert den Raum. Sie sind nicht bereit, sich kritisch anfragen zu lassen. Allmählich bilden sich Grüppchen von Gleichgesinnten. Da gibt es einige Wenige, die erleichtert und froh sind: „Endlich sagt’s mal einer. Hoffentlich ändert das etwas in unserer Gemeinde.“ In einer anderen Gruppe entsteht heftiger Protest: „In unserer Gemeinde ist so viel los: der immer erfolgreichere Bazar jedes Jahr, der dem Budget der Gemeinde aufhilft; die schönen Feste und Ausflüge; Aktionen, die für am Rande Stehende attraktiv sind, schließlich wollen wir die ja auch gewinnen … Wir sollen eine tote Gemeinde sein? Da gibt es ganz andere Gemeinden, die mächtig am Schrumpfen sind. Die sollten sich mal von uns was abgucken.“

Ich stelle mich in der Betrachtung nun zu einer Gruppe, die mit großer Erschrockenheit und Betroffenheit reagiert. Gemeinsam wird versucht, sich an die Anfänge zu erinnern: „Was hat uns damals so hellwach sein lassen? Was haben wir da gehört und empfangen? Und jetzt: Was sind wir an Werken schuldig geblieben? Was ist das Sterbende, das gestärkt werden muss? Was bedeutet nun für uns Buße, wohin umkehren?“

Ich male mir aus, zu welchen Antworten die Gruppe gekommen sein könnte. Ich stelle mir meine eigene Gemeinde vor Augen und betrachte sie auf dem Hintergrund der Gemeinde in Sardes.

Zeit des Verstehens: Gemeinde als Gemeinschaft der Hörenden

Es wird – besonders im Osten Deutschlands – viel darüber diskutiert, ob unsere Kirche in ihrer jetzigen Gestalt überleben oder sterben wird. Angesichts dieser Frage ist es unumgänglich, ernsthaft zu erwägen, was das für „Werke“ sind, die den Ruf verbreiten, „Lebendigkeit“ zu erzeugen, sich aber in Wahrheit als äußerer Schein erweisen. Was aber erhält eine Gemeinde tatsächlich am Leben; und was ist ihr verloren gegangen, wenn wir von einer „toten“ Gemeinde sprechen?

Wir müssen mit unseren kirchlichen „Angeboten“ den sonstigen Anbietern der gestressten Spaßgesellschaft keine Konkurrenz machen. Wir haben viel Schöneres empfangen und zu schenken: Die Gewissheit, dass Jesus Christus selbst uns in seiner Hand trägt, und mit uns die Fülle des Heiligen Geistes! Das soll uns aufrütteln aus unserm bequemen Kirchenschlaf, uns zur Umkehr rufen; erwecken zu einem lebendigen Glauben, wie er am Anfang der Kirche stand. Die Fülle des Geistes ist es, die uns wache Augen schenkt, wahrzunehmen, wo sich Glaubens- und Hoffnungslosigkeit in der Kirche und in unserer Gesellschaft ausbreiten, und die uns hören und sehen lässt, welche „Werke“ wir dieser Entwicklung entgegensetzen müssen.

Jesus Christus hat seiner Kirche mit dem harten Gerichtswort und dem Ruf zur Umkehr (V.3) eine Zeit der Gnade gesetzt. Er will nicht, dass unser Name ausgelöscht wird, sondern will uns das Kleid der Gnade anziehen. Wie werden wir, wie wird die Kirche diese Gnadenzeit nutzen?

Wir müssen als Kirche wieder zu Hörenden werden (V.6), damit wir die Fülle des Geistes neu empfangen können, die uns in dem leitet, zu dem wir gerufen sind: Das Evangelium von der Gnade Gottes, von der Liebe Jesu Christi festzuhalten und die Menschen damit zu stärken.

Zeit des Herzens

Eine junge Frau sagte mir einmal: „Bei uns in der Gemeinde ist so viel los, aber eins fehlt ihr: die Stille und das Beten um Erneuerung“. Wenig später gründete sie mit einigen anderen in ihrem Ort einen Betrachtungskreis. Eine andere Frau sagte am Ende einer Gemeindekirchenratsklausur: „Wir haben an diesem Wochenende viel zusammen gemacht und gelernt. Wir haben uns auch gefragt, was wir dazu tun können, vielleicht anbieten können, damit der Glaube an Jesus Christus für die Menschen wirklich im Mittelpunkt des Gemeindelebens steht und der Einzelne gestärkt wird.

Ich stelle mir – vielleicht gemeinsam mit anderen – die Frage: Wozu machen mir diese beiden Beispiele für meine Gemeinde Mut? Wie kann die Stille, das Beten, das Hören auf Gott, einen größeren Raum bekommen, damit die Fülle des Geistes das, was am Sterben ist, lebendig machen kann? Wo ist Umkehr nötig?

Gerlinde Breithaupt lebt als emeritierte Pfarrerin in Halle an der Saale. Sie gehört zur Geschwisterschaft Koinonia.

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