Sich einstimmen

Am ersten Tag des neuen Kalenderjahres können wir uns meditierend auf diesen weisheitlichen Spruch einlassen: „Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg; aber Gott allein lenkt seinen Schritt.“ Also wir planen, Gott aber führt uns ganz eigene Wege. Was zählt da noch unsere Entscheidung? Haben wir Pläne für das neue Jahr? Welche vor mir liegenden Wege sehe ich schon jetzt vor meinem geistigen Auge? Welche Rolle spielt Gott bei meiner Entscheidung, welchen Weg ich gehe?

Betrachtung des Bildes

Die Weg-Metapher ist in Alten wie im Neuen Testament von Bedeutung. Da war der 40jährige Weg durch die Wüste für Israel. Jesus selbst, der sich als „Weg“ verstand. Besonders wertvoll, die Bezeichnung der Bewegung der ersten Christen als „der neue Weg“ (Apg 9,2; 19,9.23; 24,14), nicht: Die neue Lehre, nicht: Das neue Bekenntnis, sondern eine Metapher die das Unterwegssein und Prozesshafte im Christentum als wesentlich kennzeichnet. Auch M. Luther betont: „Ein Christ ist im Werden“. Ebenso Ignatius v.L., der oft seine Briefe unterschrieben hat mit „Der Pilger“. Henry Nouwen sagte einmal: Wer glaubt, dass er fertig ist, ist fertig. Die, die glauben, dass sie angekommen sind, haben ihren Weg verloren. Die glauben, sie hätten ihr Ziel erreicht, haben es verpasst.

Ich schlage also vor, das Bild eines Weges vor dem inneren Auge entstehen zu lassen, den du gehst. Ohne das Ziel zu sehen, aber wach für das Hier und Jetzt, mit einem Blick für den Wegesrand, für die Wegbegleitung (vielleicht ein freundlicher Hund), für die Biegungen und das Gefälle, mit Gespür für das „leichte Gepäck“ (vgl. Lied von Silbermond) oder die Schwere der Sorgen. Achte auf den Rhythmus von Ausatmen und Schrittzahl. Auf den Wind, aus welcher Richtung kommt er? Der Geruch von Freiheit? Lass dieses Bild wachsen, mit der Freude zum Detail, bis du eine Resonanz in dir spürst und du vielleicht Freude am Weg findest und dem Lebensstil des Unterwegsseins als Lebenshaltung, als Pilgerschaft. Es ist meine persönliche Überzeugung, dass wir auch die Botschaft Jesu nicht trennen können von seinem Lebensstil: Er war ein Wanderer, dauernd unterwegs.

Erwägung: Gegensatz oder Ergänzung

Vielleicht kennst du den Ratschlag: „Was ein Mann vor dem Aber sagt, kann man getrost vergessen,“ weil das, was nach dem Aber kommt, das ist, was er wirklich denkt, seine wahre Meinung, seine Einstellung, seine Haltung. Anbei: Ich glaube nicht, dass das nur für Männer gilt! Marshall Rosenberg, der Begründer der Gewaltfreien Kommunikation, hat da einen guten Tipp gegeben, er sagt: tausch doch einfach mal das ABER durch ein UND aus – und in der Kommunikation wird sich gleich ganz viel verändern. Und wenn dann das nun nicht nur ein sprachlicher Trick wird, sondern zu einer Lebenshaltung wird, weg vom ENTWEDER- ODER, hin zum SOWOHL ALS AUCH, dann verändern sich auch Beziehungen.

In unserem weisheitlichen Spruch taucht genau das gleiche Problem auf. Ist denn nun alles, was vor dem ABER steht, belanglos, weil das Eigentliche, Richtige, das Gute erst danach genannt wird? Wir erdenken Wege (mit Herz und Verstand), wir planen, der Mensch erdenkt sich seinen Weg, er plant, er konstruiert (vgl. auch die Philosophie des Konstruktivismus) – Gott aber führt seine ganz eigene Wege und Schritte.

Im hebräischen Urtext: Da steht natürlich kein Satzzeichen (Semikolon), da steht ein [Waw] im Hebräischen, was eigentlich UND heißt – aber je nachdem, wie der Kontext, der Zusammenhang ist, auch mit ABER übersetzt werden kann. Es ist also eine Vorentscheidung, eine Interpretation, die wir vollziehen: Ist das ein Kontrast – unser Denken gegen Gottes Führung – oder ist das eine Ergänzung, oder eine Gleichzeitigkeit – dass Gott gerade durch unser Denken und Planen führt? Es ist nicht eindeutig – deshalb müssen wir nachdenken und für uns entscheiden, was für uns heute hier gemeint sein könnte.

Konkretion

So mancher Plan, den wir „schmieden“ (!) wird durchkreuzt und wir sehen, dass es dann doch anders kommt, als man denkt, und dass Gott seinen eigenen Weg mit uns geht, der nicht selten als ein ganz großes ABER erlebt wird. Es gibt Situationen, wo dieses ABER Gottes einen wirklichen Trost bedeutet – gerade in Momenten wo man verzweifelt ist – darauf zu vertrauen, dass Gott dann doch seinen Weg mit einem geht. Das ist Trost, das ist Glaubensgewissheit. Es gibt auch Situationen, wo man selber etwas mit dem Brustton der Überzeugung für wahr hält und für gut hält – aber dann Gott einem doch zeigen muss, wie verkehrt man lag.

Und was spricht für das UND?

Im jüdischen Talmud finden wir einen Satz über Gottes Führung: Der Mensch wird des Wegs geführt, den er wählt. D.h. unser Denken, unser Planen, unsere Sehnsucht, der wir von Herzen folgen, unsere Entscheidungen, das alles ist nicht umsonst, das ist nicht unsinnig, oder widersinnig – sondern, Gott gebraucht all dies, um so mit und durch uns zu seinem Ziel zu kommen. Also nicht trotz unseres „Erdenkens“, sondern durch unser „Erdenken“ führt uns Gott. Es bedeutet, dass wir nicht die Hände in den Schoß legen und nichts mehr tun, weil es dann doch immer ganz anders kommt als geplant- sondern das, was wir in Verantwortung vor Gott und unserem Gewissen tun (ignatianisch: in Indifferenz), das tun wir mit ganzem Herzen – aber im Wissen, dass es nicht vollkommen ist – dass uns Gott aber darin und dadurch führen kann. Das kann einem schon den Mut geben auch zu riskanten Entscheidungen (etwa eine Ehe einzugehen, oder ein Kind in diese Welt zu setzen).

Darauf vertrauen, dass Gott uns darin und dadurch „dennoch“ zum Ziel führt, unsere Berufung zu leben, Jesus Christus nachzufolgen. Und dieser gemeinsame Weg, der kann getragen sein, von der Gewissheit (lat. assertio), nicht der Sicherheit (lat. certitudo), dass Gott auch auf krummen Linien gerade schreibt, dass er auch schräge Typen lieb hat und uns befähigt, jeden Tag den Weg neu zu beginnen – in einem Anfängergeist, jeden Tag das Wagnis der Pilgerschaft zu leben, aus der Vergebung und auf Vergebung hin, aufzubrechen „ohne Landkarte“ (Madeleine Delbrêl).

Lasst euch finden
Geht in euren Tag hinaus ohne vorgefasste Ideen,
ohne die Erwartung von Müdigkeit,
ohne Plan von Gott, ohne Bescheidwissen über ihn,
ohne Enthusiasmus,
ohne Bibliothek –
geht so auf die Begegnung mit ihm zu.
Brecht auf ohne Landkarte –
und wisst, dass Gott unterwegs zu finden ist,
und nicht erst am Ziel.
Versucht nicht, ihn nach Originalrezepten zu finden,
sondern lasst euch von ihm finden
in der Armut eines banalen Lebens.
Madeleine Delbrêl

Hartmut Friebolin (*1969) stammt aus der Evangelischen Jugendarbeit in Heidelberg. Nach dem Zivildienst studierte er mit viel Leidenschaft Theologie (Göttingen, Edinburgh und Heidelberg). Er gehört seit 1992 zur Geschwisterschaft Koinonia. Er ist verheiratet und hat zwei Söhne, war ca. 20 Jahre Gemeindepfarrer. Jetzt ist er Religionslehrer und Beauftragter der Badischen Landeskirche für Soziale Medien.

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